Vorab: Wir sind weder Fans der kapitalistischen Globalisierung noch Apologeten des Freihandels und auch wir haben ein massives Problem mit dem gegenwärtigen Zustand der globalen Gesamtsituation. Das liegt aber nicht daran, dass wir uns über die Monopolisierung von Wohneigentum echauffieren, oder uns über den angeblich rückläufigen Einfluss des Staates auf die Wirtschaft Sorgen machen. Unser Problem ist der Kapitalismus und der existiert schon deutlich länger, als der Begriff und das Phänomen der Globalisierung.
Für Attac und ihren globalisierungskritischen Anhang ist aber nicht der Kapitalismus Anlass des heutigen Protests, sondern ein Treffen der G7-Finanzminister „in Vorbereitung des G8-Gipfels im Sommer in Heiligendamm“:
„Durch die Politik der G8 werden den Konzernen immer mehr Rechte und Möglichkeiten eingeräumt, um ihre Profite zu vergrößern; gleichzeitig werden unsere Rechte und Möglichkeiten der Teilhabe immer weiter eingeschränkt. Sehenden Auges vernichten die entfesselten Marktkräfte unsere sozialen und ökologischen Grundlagen. Nicht mehr (!) die Wirtschaft soll den Menschen dienen, sondern die Menschen der Wirtschaft.“ (Aus dem Demonstrationsaufruf des „Bündnis zum G7-Gipfel“)
Gerade der letzte Satz dieses Auszugs aus einem Aufruf zur Anti-G7- Demonstration am 10. Februar 2007 ist symptomatisch für die folgenreiche Fehlanalyse gesellschaftlicher Verhältnisse, der die Globalisierungskritiker anhängen, suggeriert diese Aussage doch, es habe vor nicht allzu langer Zeit ein System gegeben, in dem die Wirtschaft den Menschen, die Produktion also der Bedürfnisbefriedigung gedient habe. Dies ist aber, wie schon bei oberflächlicher Betrachtung der historischen Entwicklung von Staat und Gesellschaft deutlich wird, nicht der Fall.
Mit der Durchsetzung des abstrakten, apersonalen Systems kapitalistischer Herrschaft, welches das personale Herrschaftssystem des Feudalismus in den Gesellschaften Europas ablöste, setzte sich der Warentausch als ökonomisches Prinzip gesamtgesellschaftlich zunehmend durch. Man produzierte nun nicht mehr für den eigenen Bedarf, sondern um die produzierten Güter gegen andere bzw. gegen Geld zu tauschen. Sofern man nun als Unternehmer Kapital in Form von Geld und Produktionsmitteln besaß, stand man unter dem Zwang, aus dem vorhandenen Kapital mehr Kapital zu machen (Kapitalakkumulation), um einerseits davon leben, andererseits expandieren und sich in der Konkurrenz mit anderen Unternehmern durchsetzen zu können. Wer, wie auch heute die übergroße Mehrheit der Menschen, kein ausreichend großes Kapital besaß, war auf den Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesen.
Die Grundlagen dieses Systems (staatlich geschütztes Privateigentum, Warentausch, Kapitalakkumulation), das sich vor rund 200 Jahren in Europa durchzusetzen begann, bestehen bis heute unverändert fort und werden von Attac, Linkspartei, etc. in keiner Weise in Frage gestellt. Sie werden von jedem tagtäglich notwendigerweise reproduziert (indem man arbeiten geht, Einkäufe erledigt oder seine Lieblingspartei wählt), ohne dass ein individuelles Ausbrechen auch nur denkbar wäre.
Es stellt sich daher die Frage, was die scheinbar für jedes Übel dieser Welt verantwortlichen „Konzerne“, von denen im Attac-Aufruftext die Rede ist, anderes tun, als ein jeder von uns: Sie folgen kapitalistischen Prinzipien, die sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen als objektive Notwendigkeiten darstellen, und versuchen durch eine möglichst hohe Profitrate, möglichst erfolgreich Kapital anzuhäufen. Dass man ihnen vorwirft in diesem System erfolgreich zu sein, hat allerhöchstens mit Neid, keinesfalls aber mit einer Kritik am Kapitalismus zu tun. Am ökonomischen Prinzip haben wir alle mehr oder weniger Freiwillig teil; die Auswirkungen des Prinzips aber denen in die Schuhe zu schieben, welche die Logik des Systems am erfolgreichsten Umsetzen, ist nicht mehr als die Suche nach Sündenböcken für die eigene Unfähigkeit sich des Systems Kapitalismus zu bedienen. Die großen Konzerne sind die erfolgreiche Variante des Tante-Emma-Ladens, aber weil sie im gleichen System „spielen“ haben sie auch das gleiche Interesse: sich im Rahmen der Möglichkeiten gegenüber ihrer Konkurrenz Vorteile zu verschaffen. Dass es dabei keinesfalls um das Wohl der Angestellten und Arbeiter oder einer wie auch immer definierten Allgemeinheit geht, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung.
Warum also richten sich die Angriffe der Globalisierungskritiker gerade gegen die erfolgreichsten Akteure dieses Systems, obwohl alle anderen Subjekte der globalisierten Gesellschaft gezwungenermaßen den gleichen ökonomischen Prinzipien folgen?
Der Vorwurf, den die Globalisierungskritiker konkret gegen die Teilnehmer der G7/G8-Konferenz respektive die „neoliberalen Regierungen“ erheben, ist, dass diese „den Konzernen immer mehr Rechte und Möglichkeiten einräumen um ihre Profite zu vergrößern“, statt die „Interessen der Menschen“ zu vertreten. Im Klartext: Der Staat schränkt nicht mehr den Handlungsspielraum der Konzerne ein, um den Interessen des Volkes zu ihrem Recht zu verhelfen, wie es seine Aufgabe wäre.
Tatsächlich ist es aber nicht die Aufgabe des bürgerlichen Staates, ein möglichst angenehmes Leben für die Bevölkerung zu gewährleisten, sondern für einen möglichst reibungslosen Ablauf von Warentausch und Kapitalakkumulation zu sorgen (z.B. durch den gesetzlich zugesicherten Schutz der Vertragsfreiheit, des Privateigentums, die Gewerbeaufsicht oder das Verbot „wilder“ Streiks). Schon aus diesem Grund sind an den Staat adressierte Appelle für eine stärkere Berücksichtigung der „Interessen der Menschen“ sinnlos und werden ungehört verhallen. Nun sind die G8-Staaten, zu denen auch die BRD gehört, bekanntermaßen nur acht unter 192, die allesamt um die Gunst der Unternehmer und Investoren konkurrieren, da ihre jeweilige Wirtschaft ja auf deren Kapital angewiesen ist. Will ein Staat also in der Konkurrenz mit anderen Staaten bestehen, so muss er notwendigerweise für die Attraktivität des Standorts sorgen, indem er beispielsweise arbeits- und umweltpolitische Standards abbaut und die Arbeitnehmerlöhne nicht durch hohe Sozialleistungen künstlich hebt.
Auch hier sehen wir uns nicht mit einem neuartigen Phänomen konfrontiert. Schon immer (genauer: seit es Kapitalismus gibt) waren die Staaten wirtschaftlich darauf angewiesen, die Bedingungen für ein florierendes Unternehmertum bzw. einen attraktiven Standort für Investoren zu schaffen. Dass dies im Zweifel immer zu Ungunsten der Lohnabhängigen geht, liegt in der Natur der Sache: Der Unternehmer möchte möglichst geringe Löhne, Arbeitnehmerrechte, etc., der Arbeitnehmer möglichst hohe. that’s capitalism…
Hinter dem Begriff der Globalisierung verbirgt sich also im besten Fall eine aktuelle Entwicklungstendenz des Kapitalismus, im schlechtesten Fall nichts als heiße Luft. Wem es wirklich darum geht, etwas gegen die Unerträglichkeit von Arbeit und Bildungsfreiheit, gegen das Hungern in der dritten Welt, gegen die reale Ungleichheit und Unfreiheit der Menschen zu unternehmen, der sollte sich von der Globalisierungskritik verabschieden und endlich dem eigentlichen Problem zuwenden: Staat, Nation, Kapitalismus.
Das aber steht bei den Protesten gegen den G7 und G8 genauso wenig im Vordergrund wie das verlangen alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
Kapitalismus abzuschaffen kann nur mit der Forderung nach Abschaffung von Staat und Nation einhergehen. Weil dies aber bei Attac&Co nicht der Fall ist, steht fest, dass das Gros der Globalisierungskritiker eher Teil des Problems, als Teil der Lösung ist.
Antifa Essen Z (Februar 2007)
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