Anmerkungen zum „Nationalen Antikriegstag“

Bereits zum sechsten Mal rufen Dortmunder Neonazis ihre Kameradinnen und Kameraden aus Deutschland und Europa zur Teilnahme an ihrem Aufmarsch zum „Nationalen Antikriegstag“ am 4. September auf. Die Antifa Essen Z unterstützt auch in diesem Jahr wieder den Aufruf und die Aktionen des Antifa-Bündnisses S4. Jedoch möchten wir ergänzend zum bereits existierenden Aufruftext einige Anmerkungen zum vermeintlichen Antiimperialismus der neuen und alten Nationalsozialisten machen, der schon in den letzten Jahren immer wieder zu kontroversen Diskussionen innerhalb der radikalen Linken geführt hat.

Am 4. September 2010 wird in Dortmund einer der größten europäischen Naziaufmärsche dieses Jahres stattfinden. Bereits zum sechsten Mal wollen hunderte Neonazis unter dem Motto „Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege“ durch die Ruhrmetropole marschieren. Dass dieses jährlich wiederkehrende Großevent in Dortmund stattfinden soll, ist kein Zufall, denn bereits seit Jahren ist die Stadt eine Hochburg der Neonazis. Spätestens seit den Großaufmärschen gegen die 2003 in Dortmund gezeigte „Wehrmachtsausstellung“ hat die lokale Neonaziszene einen Grad an Aktionismus und Gewaltbereitschaft entwickelt, der bislang zumindest in Westdeutschland einzigartig ist (1).

Mit dem Motto der Demonstration und ihrer Bezugnahme auf den Antikriegstag, der seit 1957 am 1. September traditionell von den westdeutschen Gewerkschaften begangen wurde, schaffen es die Neonazis noch immer, in weiten Teilen der Linken für Verwirrung und Unverständnis zu sorgen. In Anlehnung an die Theorien der antiimperialistischen Linken beschreiben die Neonazis den Imperialismus als Entwicklungsprodukt des Kapitalismus. Ihre eigene Position begreifen die Neo-Faschisten als antikapitalistisch und antiimperialistisch. Die Verwunderung, die eine solche Positionierung seitens der Neonazis hervor ruft, ist zunächst einmal nicht unbegründet, steht doch ihr vermeintlicher Antiimperialismus scheinbar im krassen Widerspruch zur Außenpolitik ihrer historischen Vorbilder: Nach der zunächst auf diplomatischen Wege erfolgten Annexion des Saarlands, des Memellands und von Teilen der Tschechoslowakei überfiel das nationalsozialistische Deutschland am 1. September 1939 Polen und führte damit seinen bereits 1935 begonnenen Expansionsfeldzug mit militärischen Mitteln fort. Eben dies wird und wurde jedoch von den neuen und alten Nazis beharrlich geleugnet. Der Angriff auf Polen sei lediglich die Reaktion auf einen versuchten Überfall Polens auf das Deutsche Reich gewesen hieß und heißt es in der Propaganda der Nazis damals wie heute. Diese unzweifelhaft falsche Behauptung zeugt von dem Versuch, antiimperialistische Propaganda mit einer objektiv imperialistischen Politik zu vereinbaren. Auch die Positionen heutiger Nazis sind von diesem Widerspruch gekennzeichnet: Einerseits geißelt man die Außenpolitik der USA als imperialistisch, andererseits fordert man ganz in der Tradition der historischen Nationalsozialisten eine Revision der nationalstaatlichen Grenzziehungen in Europa – zu Gunsten und im Sinne Deutschlands wie sich versteht (2). Der „Antiimperialismus“ der neuen Nazis ist daher ein höchst ambivalenter: Einerseits sind die Bekenntnisse gegen den vermeintlichen oder tatsächlichen Imperialismus der USA und Israels durchaus ernst gemeint und nicht wie einige Linke immer noch glauben ein bloßes propagandistisches Manöver. Andererseits vertreten sie eine Politik, die ihrem Inhalt nach eine imperialistische ist. Ob ihnen dies bewusst ist oder nicht, ist dabei letztlich nur von untergeordneter Bedeutung.

Die Empörung vieler Linker, die behaupten, die Neonazis übernähmen aus propagandistischen Zwecken ihre antiimperialistischen Inhalte, ist vor diesem Hintergrund entlarvend. Denn tatsächlich ist ihr vermeintliche Antiimperialismus oftmals in Wirklichkeit nur eine implizite oder auch explizite Parteinahme für den deutsch-europäischen Imperialismus oder äußert sich, was wohl mindestens ebenso schlimm ist, in der Verbrüderung mit den reaktionärsten theokratischen Kräften jener Länder, die zum Ziel der imperialistischen Bestrebungen anderer Staaten geworden sind. Wie sonst ist es zu erklären, dass der von Deutschland maßgeblich forcierte Angriffskrieg auf Serbien 1999 und die anschließende Zerschlagung Jugoslawiens durch EU und NATO nur den harten Kern der Friedensbewegung und der radikalen Linken zu Protest veranlassen konnten, während wenige Jahre später Hunderttausende gegen den bevorstehenden Irak-Krieg, an dem sich Deutschland wiederum nicht beteiligte, auf die Straßen gingen?

Die radikale Linke sollte also nicht einfach die feindliche Übernahme bestimmter Schlagworte durch die extreme Rechte beklagen, sondern vielmehr deren politische Programmatik vor dem Hintergrund ihrer eigenen Positionen analysieren und als das denunzieren, was sie ist, nämlich in jeder Hinsicht radikal antikommunistisch. Ihre Agenda beinhaltet die Zerschlagung der konkurrierenden politischen Parteien und Interessengruppenvertretungen (wie Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände) bei gleichzeitiger Bewahrung der bestehenden bürgerlichen Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Die Faschisten festigen damit die ökonomische Machtposition der Produktionsmitteleigentümer und berauben die Klasse der Lohnabhängigen ihrer von der liberalen Demokratie noch zugestandenen Mittel der Interessenvertretung und des ökonomischen und politischen Kampfes (3). Dieser Sachverhalt zeichnet den objektiven Klassencharakter des Faschismus aus. Gleichwohl soll damit nicht unterstellt werden, dass dem einzelnen Faschisten dieser Klassencharakter notwendigerweise bewusst ist. Es ist vielmehr anzunehmen, dass sich selbst viele Führer der heutigen faschistischen Organisationen wie NPD und Kameradschaften als rechtschaffene Vertreter der Interessen der arbeitenden Bevölkerung und des Gemeinwohls sehen. Dem dargestellten objektiven Klassencharakter ihrer Programmatik tut das aber keinen Abbruch.

Es sollte daher tunlichst vermieden werden, die Faschisten einerseits als bewusste und willige Agenten der Bourgeoisie darzustellen (4) oder andererseits vor dem Hintergrund ihrer „antiimperialistischen“ und pseudo-sozialistischen Propaganda den Klassencharakter der Faschismus zu verleugnen. Eine linksradikale Analyse des Faschismus müsste eben beides leisten: Die Ideologie seiner Anhänger ernstnehmen und bekämpfen und den objektiven sozialen Gehalt seiner Programmatik erkennen und enttarnen.
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(1) Ausführlichere Informationen zur Dortmunder Nazi-Szene finden sich im Aufruf des antifaschistischen S4-Bündnisses unter http://s4.blogsport.de

(2) Anders als ihre historischen Vorgänger finden sie dabei heute kaum Unterstützung in den Eliten von Politik, Wirtschaft und Militär. Ihre Programmatik ist in diesem Sinne schlichtweg nicht auf der Höhe der Zeit, in der Deutschland für die Erschließung neuer Absatzmärkte und Wirtschaftsräume nur noch selten auf militärische Mittel oder gar territoriale Expansion angewiesen ist.

(3) Um Missverständnissen vorzubeugen: Es soll damit nicht suggeriert werden, dass die Klasse der Lohnabhängigen in Deutschland und Europa sonderlich revolutionär oder klassenkämpferisch gesinnt sei und nur auf die richtige Gelegenheit warte, um dann die Weltrevolution zu starten. Insbesondere die deutschen Lohnabhängigen machen selbst von den Kampfmitteln, die ihnen von der liberalen Demokratie zugestanden wird, nur selten Gebrauch. Die Forderung der extremen Rechten nach der Zerschlagung der Gewerkschaften, der Aufhebung des Streikrechtes etc. kommt insofern eher einem Präventivschlag gleich.

(4) Dies verbietet sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Faschisten wie schon erwähnt zur Zeit keine Unterstützung durch gesellschaftliche Eliten erfahren. Hinter den heutigen faschistischen Organisationen stehen in Deutschland keineswegs „das Kapital“ oder auch nur nennenswerte Teile der Klasse der Produktionsmittelbesitzer. Auch ihre Anhängerschaft rekrutieren diese Organisationen (ebenso wie in den 20er und 30er Jahren) vor allem aus den von sozialer Deklassierung bedrohten Schichten der Lohnabhängigen und des Kleinbürgertums.